Allerheiligen, Allerseelen, Halloween
Der 1. November ist für die meisten von uns, zumindest für jene, die wie ich in einem christlich-katholischen Umfeld aufgewachsen sind, jener Tag, an dem die gläubigen Menschen ihrer Verstorbenen gedenken. Ursprünglich war das jedoch der 2. November, das Allerseelen-Fest, welches aber stark in Vergessenheit geraten ist. Am 1. November feiert die katholische Kirche das Hochfest Allerheiligen und gedenkt an diesem Tag allen Heiligen und Seligen der Kirche. Vor allem jenen, denen im Jahreskreis nicht durch einen eigenen Feiertag gedacht wird.
In den USA wird am Vorabend von Allerheiligen Halloween gefeiert. Halloween leitet sich von All Hallows´ Eve ab, und beschreibt die Volksbräuche in der Nacht auf Allerheiligen. Ursprünglich stammen diese Bräuche aus dem katholischen Irland, verbreiteten sich durch die irischen Einwanderer in den USA und kamen schließlich mit Beginn der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts nach Europa zurück.
In weiten Teilen des Alpenraums ist es Brauch, dass zu Allerheiligen die Tauf- und Firmpaten ihren Patenkindern ein sogenanntes Allerheiligenstriezel schenken. Das Allerheiligenstriezel ist ein Gebildbrot, auch Gebildebrot genannt. Dabei handelt es sich um ein frei mit der Hand geformtes (gebildetes) Gebäck. Die Formen sind selten nur Schmuckwerk, sondern bewusst symbolhaft gewählt und lassen eine viel tiefer liegende Bedeutung durchscheinen – dazu weiter unten.
Der Jahreskreis
Viele solcher Volksbräuche haben einen Sinn stiftenden Kern, der weit zurück liegt in einer heute verborgenen Gegenwelt. Einer Zeit, als unsere Vorfahren noch in tiefer Verbundenheit mit ihrer Stammesmutter und großen Ahnfrau, der Mutter Erde selbst, gelebt und die großen Jahreskreisfeste zu Ehren der großen Göttin gefeiert haben.
Die Feste hatten damals kein fixes Datum, welches im Kalender markiert war, sondern es war ein bestimmter Zeitraum an dem die Rituale unter Einbeziehung bestimmter Symbole und der Göttin entsprechend ihrem Alter im Jahreskreis vollzogen wurden. Auch ihr Heros war integriert in die Jahreskreisfeste. Die Jahreskreisfeste waren im Wesentlichen Übergangsriten von einem Stadium der Natur zum nächsten. Die Gemeinschaft der Menschen, die sich als Teil des ewigen Zyklus vom Werden und Vergehen sahen, feierte diese Mysterienfeste in archaischen Ritualen zu Ehren der großen Göttin und ihren geheimnisvollen Wirkkräften, die das kosmische Geschehen bestimmen und das Leben der Einzelnen tragen.
Diese Feste waren ein dramaturgisches Nachvollziehen der Naturvorgänge, die von der großen Göttin geleitet wurden. Im Frühjahr das Wachsen, im Sommer das Reifen und im Herbst das Sterben, bevor es im Winter zu einer Erneuerung kam. Dabei wurden auch die Wirkkräfte der Natur in ihren aktuellen Bestrebungen unterstützt, ganz nach den naturmagischen Prinzipen, dass Gleiches das Gleiche bewirkt, das Einzelne das große Ganze beeinflusst und ein Teil für das große Ganze steht.
Die Tod-im-Leben Göttin
Eines der großen Jahreskreisfeste war jenes, welches den Übergang in die dunkle und stille Zeit festlegte. Die Zeit um den heutigen 1. November war geprägt vom Überrgang der Göttin in ihrem roten Aspekt, der Schenkerin von Liebe und Leben zur Göttin in ihrem schwarzen Aspekt, der Herrin über die Anderswelt, der Tod-im-Leben Göttin. Am Ende holt sie alles zu sich, die Pflanzen im Herbst, den abnehmenden Mond in den Schwarzmond, die Sonne am Abend im Westen in den Schoß der Erde genauso wie uns Menschen an unserem Lebensabend. Alles und Jeden zu seiner Zeit sendet sie wieder zurück auf die Erde.
Jetzt, im Herbst wo alles zurück kehrt in den Schoß der großen Göttin, stehen die Tore offen in die Anderswelt, die Schleier sind dünn. In der Sippengesellschaft unserer Ahninnen und Ahnen bildeten die Lebenden und die Toten aus der Anderswelt eine untrennbare Gemeinschaft. Die Seelen der Verstorbenen wohnen in der Natur weiter. Die beiden Welten wurden durch Rituale miteinander verbunden. Es besteht eine Wechselbeziehung. Die Ahnenseelen bringen Schutz und Segen und bestimmen das Schicksal der lebenden Menschen mit. Über die Ahnen hatten die lebenden Menschen auch Zugang zur Sakralsphäre der großen Göttin, ihrer Ahnfrau und Stammesmutter, die sich ihnen als Naturgestalt zeigte.
Samhain
Jetzt, zum keltischen Samhein betritt sie als Schnitterin die Anderswelt und nimmt ihren Heros, den einstigen grünen Mann, mit dem sie im Sommer heilige Hochzeit feierte und jetzt zum „Dürren“ geworden ist, mit. Sie bringt ihrem Heros den rituellen Tod. Oft wird der Dürre zum „Gehörnten“, einem mit Fell bekleideten Tierwesen der Unterwelt.
Die Unterwelt war für die damaligen Menschen kein Ort von Schmerz, Leid und Trauer so wie wir sie aus dem Christentum kennen, sondern ein Ort von Reichtum (im Sinne von Lebensweisheit) und Fülle. Sie ist das Jenseitsparadies der fröhlichen Feste, der Transformation und der geheimnisvollen Kräften der Regeneration. Schon bald, nach der Wende um Mittwinter, werden alle verjüngt und bereichert im Frühling wiederkehren. Die große Göttin verjüngt sich aus sich selbst heraus, alle anderen werden durch die Lebenskraft der Göttin verjüngt und wiedergeboren.
Die Zeit um Samhain ist eine seelenvolle Zeit. Die Tore stehen offen, die Lebenden und die Toten begegnen sich. Die Herbstalte und die Ahnengeister zeigen sich. Die Grabhügel stehen offen. Man kann jetzt die Verstorbenen im Jenseitsparadies singen lachen und musizieren hören. Sie feiern dort ihre Feste, im Reich des Überflusses. Manchmal kehren sie für eine kurze Zeit an ihre angestammten Plätz in Haus und Hof zurück, wo sie von ihren Verwandten mit Speis und Trank versorgt werden. In die Fenster der Höfe werden Kerzenlichter gestellt, damit die Seelen den Weg nach Hause finden. Über Nacht bleiben die Esstische für die Ahnenseelen gedeckt und vom Abendessen wird ein Teil für die Geister der Verstorbenen übriggelassen.
Samhain bedeutet übersetzt so viel wie „Vereinigung“ oder „Zusammenkunft“. Es deutet auf die Zusammenkunft der Lebenden und der Ahnenseelen um diese Zeit hin. Genauso wie das Allerheiligenstriezel. Die Stränge der Lebenden und der Ahnenseelen sind untrennbar miteinander verflochten. Sie bedingen sich gegenseitig.
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