Wie der Heilige Nikolaus die Attribute der vorchristlichen Göttin übernahm
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Der Heilige Nikolaus wurde der Überlieferung nach gegen Ende des 3. Jahrhunderts in Patara (Lykien, heutige Türkei)* geboren und soll an einem 6. Dezember – vermutlich zwischen 345 und 351 – in Myra, dem heutigen Demre, gestorben sein, wo er als Bischof wirkte.
Heute wird er als Patron Russlands und Lothringens sowie zahlreicher Berufsstände verehrt: Er ist Schutzheiliger der Rechtsanwälte, Richter, Notare, Kaufleute, Apotheker, Wirte, Weinhändler, Bäcker, Metzger, Bierbrauer, Schiffer, Fischer, Matrosen und vieler mehr. Zudem gilt er als Patron der Jungfrauen und Fürsprecher für eine glückliche Heirat.
Die Legende der drei goldenen Gaben
Die beiden letztgenannten Patronate gehen auf eine der bekanntesten Nikolaus-Legenden zurück: Ein verarmter Adeliger sah sich gezwungen, seine drei Töchter in die Prostitution zu schicken, damit sie sich ihre Mitgift verdienen könnten. Um dies zu verhindern, kam Nikolaus eines Nachts vorbei und warf den drei Frauen heimlich je einen Beutel mit Goldstücken durch das Fenster. So rettete er sie vor dem Verkauf ihrer Körper.
Von dieser Erzählung leiten sich die klassischen Attribute ab, mit denen der Heilige in der christlichen Ikonographie dargestellt wird: meist drei goldene Kugeln, aber auch drei Äpfel, drei Brotlaibe, ein Buch oder Geldsäckchen. Diese Symbole weisen ihn als den großen Schenker und Spender aus.
Der Apfel und das Erbe der Göttin
Besonders der Apfel ist ein uraltes Symbol für Fülle, weibliche Erkenntniskraft, Weisheit und zyklische Erneuerung. Als roter „Liebesapfel“ symbolisiert er den lebensspendenden Aspekt der Göttin; als Granatapfel („Todesapfel“) steht er für ihren schwarzen Aspekt. In der vorchristlichen Vorstellung hütete sie in der Anderswelt die Mysterien von Tod, Wiederkehr, ja der gesamten Schöpfung selbst. Sie war die Reichtumsspenderin aus dem Jenseits, die Schenkerin der Liebe und allen Lebens.
Die Nikolauskirche in Klerant bei Brixen
Dass wir heute an alten Frauenheiligtümern oft Kirchen finden, die dem Heiligen Nikolaus geweiht sind, ist kein Zufall. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür ist die Nikolauskirche in Klerant oberhalb von Brixen (Südtirol). Hier findet sich eine bemerkenswerte Darstellung der drei Bethen (die Saligen): Ampet, Gewer und Bruen.
Die drei Bethen – Urmütter und Schicksalsfrauen

In diesen Gestalten scheint die vorchristliche, dreigestaltige Göttin bis weit ins Mittelalter hinein durch. Das Fresko, entstanden um 1470, zeigt sie würdevoll und anmutig, gekrönt und jeweils eine goldene Kugel haltend. Ampet trägt einen schwarzen, Gewer einen roten und Bruen einen weißen Mantel. Diese Farben sind kein Zufall, sondern codieren den uralten Zyklus des Lebens:
Die Weiße (Bruen) steht für den zunehmenden Mond, den Frühling und den Neubeginn.
Die Rote (Gewer) verkörpert den Vollmond, die reife Frau und die Fülle des Lebens.
Die Schwarze (Ampet) repräsentiert den abnehmenden Mond, die weise Greisin und die Transformation im Tod. Ampet hält zudem eine Perlenkette, Symbol für ein zyklisches Weltbild.
Diese Attribute kennzeichnen sie als göttliche Frauen, die symbolisch das Leben und die kosmische Ordnung in Händen halten. Das Bildnis zeugt davon, dass die Verehrung der großen Göttin trotz Missionierung damals noch tief im Volksglauben verwurzelt war.
Der Kampf gegen die alte Ordnung: Die Vertreibung der Diana

Jene Zeit war jedoch auch vom beginnenden Kampf gegen jene Frauen geprägt, die an der alten Göttin festhielten – Frauen, die im Volk als Seherinnen und Heilerinnen verehrt, von der Kirche jedoch als Hexen verfolgt wurden.
Ein zweites Fresko in Klerant dokumentiert diesen Konflikt drastisch: Es zeigt, wie der Heilige Nikolaus eine Teufelin vertreibt. Er nutzt seinen Bischofsstab wie einen Zauberstab; auf einem Spruchband steht: „Diana, du böser Geist, fleuch aus diesem Haus im Namen Jesu.“ Diana, einst verehrte Göttin, wird hier als angsteinflößende Dämonin mit Krallen, Bockshörnern, Drachenflügeln und Hauern dargestellt, bewaffnet mit einem Dolch.
Die Halbmonde auf ihren Flügeln erinnern noch an ihre ursprüngliche Rolle als Himmelsgöttin. Das Bild inszeniert den Sieg des Christentums über das alte Baumheiligtum der Diana-Artemis.
Nikolaus als „Grüner Mann“ und neuer Gabenspender
Ein drittes Fresko zeigt Nikolaus in einer Szene mit den drei Jungfrauen, denen er die goldenen Äpfel reicht. Hier agiert er als der mildtätige Gabenspender, als der er bis heute bekannt ist. Auffällig ist jedoch seine Kleidung: Statt des Bischofsornats trägt er ein schlichtes, kurzes grünes Gewand. Damit erinnert er stark an den „Grünen Mann“ – jenen wilden Mann, der die fruchtbare Natur verkörpert und in matriarchalen Mythen als Heros der Göttin zur heiligen Hochzeit auserwählt wird.

Im christlichen Kontext tritt Nikolaus nun vollends an die Stelle der dreigestaltigen Göttin. Er vereinnahmt ihre Rolle als Reichtumsspenderin. Nicht mehr die Göttin beschenkt die Menschen mit Lebenskraft, sondern Nikolaus holt Äpfel und Nüsse aus einem fast gebärmutterartigen Sack. Sein Begleiter, der Krampus, wirkt dabei wie ein letztes, gebändigtes Echo der Diana-Artemis, über die der Heilige nun Macht besitzt und die er an der Kette mit sich führt.
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