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Die große Schnitterin

Aktualisiert: 29. Aug. 2023

Juli und August sind die Zeit der Fülle und Überfülle. In den Kornfeldern stehen die Ähren dicht an dicht, die Abendsonne lässt sie golden scheinen und der warme Sommerwind streicht sanft über sie hinweg. Ein Anblick, der bei den jungsteinzeitlichen Menschen, die lange vor uns den Alpenraum dauerhaft besiedelt haben, große Freude und gleichzeitig eine tiefe Dankbarkeit ausgelöst haben muss. Der Ackerbau war jetzt ihre Hauptnahrungsquelle. Im fruchtbaren Halbmond, einem weitläufigen Gebiet, das sich sichelförmig von der Halbinsel Sinai über die östliche Mittelmeerküste, die südöstliche Türkei, das Zwischenstromland bis zum persischen Golf ausdehnt, fand die sogenannte „neolithische Revolution“ statt. Dort entwickelte sich vor etwa 12.000 Jahren nichts weniger als die Landwirtschaft wie wir sie noch heute kennen.

Die Ähren - die goldenen Haare der Göttin bzw. ihre Kornkinder | Blog | Raum und Mensch - Schule für Geomantie und Radiästhesie
Die Ähren - die goldenen Haare der Göttin bzw. ihre Kornkinder

Die Kunst des Getreideanbaus brachten diese Menschen bei der neuerlichen Besiedlung nach der großen Eiszeit auf ihrem langen Weg aus dem fruchtbaren Halbmond, über den Mittelmeerraum in den Alpenraum mit.

Genauso ihre Spiritualität, die geprägt war von einer großen Erdgöttin. Diese Göttin war die Erde selbst, die mit ihrer Schöpferkraft alles Leben, Pflanzen, Tiere und Menschen, aus ihrem Erdkörper hervorbrachte und ihre Erdenkinder mit den Gaben der Natur beschenkte und ernährte.


Ihre große Göttin, Mutter Erde, war die Schenkerin von Leben und die große Ernährerin. Alle Gaben waren ihre Geschenke. So war für die damaligen Menschen auch die Kornernte nicht nur eine einfache, profane Handlung. Es war die Ernte der Gaben der großen Göttin der Fülle, der Reichtumsspenderin, die ihr Füllhorn über den Menschen ausschüttete.


Die Kornkinder, die Schnitterin und das Schnitterinnenfest

In den golden leuchtenden Halmen erkannten sie die goldenen Haare ihrer Göttin. Die einzelnen Halme standen aber auch für die Kornkinder. Die Zeit der Kornernte war eine heilige Zeit, eine Festzeit. Jeder Schnitt mit der Handsichel war gleichzeitig eine sakrale Handlung. Es war ein bedeutendes Sommerfest zu Ehren ihrer Göttin, es war die Zeit der Schnitterinnen. Sie schneiden die Kornkinder und ermöglichen ihnen eine glückliche Jenseitsreise. Die Tod-im-Leben Göttin verjüngt die Kornkinder, um sie zu Mittwinter, dem Zeitpunkt der Wintersonnenwende, wieder auf die Erde zurückzuschicken. Die geschnittenen Ähren, die geopferten Kornkinder, das Korn wiederum half den Menschen über den entbehrungsreichen, kalten und dürren Winter zu kommen.

Das Rad des Lebens und die acht großen Jahreskreisfeste | Blog | Raum und Mensch - Schule für Geomantie und Radiästhesie
Das Rad des Lebens und die acht großen Jahreskreisfeste

Das Schnitterinnenfest war einst eines der acht großen Jahreskreisfeste der jungsteinzeitlichen Ackerbaukulturen, welche von den nachfolgenden Kulturen übernommen wurden. So auch von den Kelten. Deshalb kennen wir heute die acht Jahreskreisfeste als keltisches Jahresrad und die einzelnen Feste sind unter ihren irisch/keltischen Namen bekannt.

Das Schnitterinnenfest bekam den irisch/keltischen Namen Lughnasadh (oder Lugnasad, gesprochen "Lunasa"). Es war immer ein Mondfest, und wurde ursprünglich um den Augustvollmond herum gefeiert. Im Jahresrad steht es zwischen der Sommersonnenwende Litha und der Herbst-Tagundnachtgleiche Mabon.


Die Jahreskreisfeste wurden von den frühen Ackerbaugesellschaften generell in Abhängigkeit vom Vegetationszyklus gefeiert. Die Natur, als Verkörperung der Erdgöttin, gab die Zeichen vor und sagte den Menschen, wann es Zeit war. Die große Schnitterin und Priesterin bestimmte den Zeitpunkt der Ernte und des ersten Schnittes.

Auch waren die Jahreskreisfeste keine Tagesfeste, sondern waren immer eine Festzeit, die über mehrere Tage oder Wochen gefeiert wurden. Erst mit der Einführung des Kalenders wurden die vorchristlichen Jahreskreisfeste bestimmten Tagen zugeordnet. Das Schnitterinnenfest kam so auf den 1. August.


Der Schnitt

Bei der Getreideernte wurden die geschnittenen Halme zu Garben gebunden, die man wieder zu mehreren auf dem Feld zum Trocknen zusammenstellte. Dabei entstanden menschenähnlichen Figuren, die Kornpuppen oder Kornmandelen. Nach dem Binden der letzten Garbe, wurde diese - als Verkörperung der großen Göttin selbst - in die Mitte des abgeernteten Feldes gestellt. Jetzt war die Ernte abgeschlossen und die Handsicheln konnten in diese letzte Garbe gehängt, also der Göttin zum Dank rituell geopfert werden.


Brauchtum

Der Ofen - Bauch der Mutter Erde | Blog | Raum und Mensch - Schule für Geomantie und Radiästhesie
Der Ofen - Bauch der Mutter Erde

In Tirol wurden die Kornpuppen auf den Feldern „Kornmatze“ genannt. „Matz“ entwickelte sich aus dem hebräischen „Matzah“, was für das heilige, ungesäuert Brot steht. In diesem Begriff erkennen wir noch die uralte Bedeutung und den Zeitpunkt dieses Festes. Es begann, sobald aus dem ersten Mehl der frischen Kornernte der erste Brotlaib aus dem Ofen, der symbolisch für den Bauch der Mutter Erde steht, geholt wurde.


In manchen Gegenden im Alpenraum war jene Person, die die letzte Garbe schnitt, auch gleichzeitig der Korngeist und bekam für die Zeit bis zum nächsten Erntefest den Namen der letzten Garbe, wurde also ab jetzt „der Alte“, „die Kornmutter“ usw. genannt, wurde in Stroh gehüllt oder musste eine Strohpuppe anfertigen, die in einem feierlichen Umzug zum Hof geführt und dort gegen die vorjährige ausgetauscht, die im Anschluss feierlich verbrannt wurde. Den Schnitterinnen und Schnittern wurde dann ein festliches Mal bereitet.

Der Korngeist | Blog | Raum und Mensch - Schule für Geomantie und Radiästhesie
Der Korngeist - die letzte Garbe

„Du hast den Alten und musst ihn behalten“. Mit diesen Worten bespricht die erste Schnitterin die letzte Garbe, auf dass der Korngeist in diese Garbe hineinschlüpfen möge und dem Haus, in das sie gebracht wird, zukünftigen Ernteseegen bringen möge

Anderswo wiederum wurde die letzte Garbe für die „armen Seelen“ stehen gelassen. In den verchristlichten „armen Seelen“ erkennen wir die verstorbenen Ahnenseelen, die Familiengeister, die auch nach dem Tod Teil der Sippengemeinschaft blieben. So konnten die Ahnengeister an dem Erntefest teilhaben.


Die goldenen Getreidefelder können wir noch heute sehen, die Arbeit der Schnitterin bzw. der Schnitter wurde längst durch riesige Erntemaschinen ersetzt. So verschwanden auch die Kornpuppen und die Kornmandelen und mit ihnen die Volksbräuche, die noch an die vorchristlichen Ernterituale erinnerten.





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