Schier unzählig erscheinen uns die vielen, quer über den Globus verstreuten, Marien-Heiligtümer. Dabei wurde erst im Jahre 431, auf dem Konzil von Ephesos, die Gottesmutterschaft Mariens zum Dogma erklärt. Dieses Dogma beruhte auf einer dogmatischen Definition am Konzil von Nicäa im Jahre 325, nach dem Jesus Christus wesensgleich mit Gott Vater sei. Denn wenn Christus Gott ist, dann ist Maria die Mutter Gottes.
Vor allem durch dieses Dogma, dass Maria die Mutter Gottes ist, gewann die christliche Missionierung an Schwung, denn vorchristlich wurde praktisch von sämtlichen Völkern eine Muttergöttin verehrt. So ging, mit dem Vordringen des Christentums, die Große Göttin in der Gottesmutter Maria auf. Das erklärt, dass in vielen katholischen Ländern Maria beinahe eine größere Verehrung als Jesus genießt.
Maria übernahm auch die Tugenden der vorchristlichen Großen Göttin. Sie spendet den Menschen Leben und Liebe, schenkt Heilung und steht immer helfend zur Seite. Wie die Große Göttin steht auch Maria häufig in Zusammenhang mit Quellen, Steinen und Bäumen.
An vielen Orten, an denen zu vorchristlichen Zeiten die Große Göttin verehrt wurde, stehen heute Marien-Heiligtümer. Die uralten Rituale der vorchristlichen Menschen an den Orten der Verehrung ihrer früheren Großen Göttin sind mit dem Christentum zu heidnischen Bräuchen erklärt worden. Diese Bräuche wurden von der kirchlichen Obrigkeit nicht gerne gesehen. So wurde einiges unternommen, um das zu unterbinden. Die Orte wurden entweder mit dem Teufel bzw. generell mit dem Bösen in Verbindung gebracht und waren von nun an Höllen- oder Teufelsteine, oder sie wurden durch Maria oder einer anderen kirchlichen Heiligen übernommen.
Die Legenden von Maria Hollenstein bei Kendelbruck
An den heutigen Marien-Heiligtümern kam es zu Erscheinungen Mariens oder zu Wundern in Zusammenhang mit Maria. Einige solcher Legenden ranken sich auch um die Wallfahrtskirche Maria Hollenstein bei Kendlbruck. Eine dieser Legenden lautet wie folgt:
„Eine Stunde vom Pfarrdorfe Ramingstein entfernt, auf der Straße nach Steiermark, steht eine halbgemauerte Kapelle; sie bewahrt das Gnadenbild „Maria mit dem Jesukindlein." Nächst der Kapelle befindet sich ein niederer, mit Gras überwachsener Felsen, auf dem zwei Vertiefungen zu sehen sind; unter dem Felsen aber sprudelt eine Quelle hervor. Von diesem Orte erzählen sich die Leute, die Gottesmutter habe sich mit dem Jesukindlein auf dem Felsen niedergelassen, das Kindlein entkleidet und dieses in der Quelle gebadet. Zum Zeichen ihrer Anwesenheit seien an der Stelle, wo sie mit dem Jesukinde gerastet, Eindrücke in Form von Sitzen im Felsen entstanden und auch die Quelle habe seither eine heilbringende Kraft gegen alles Augenübel erlangt. Der fromme Eifer zahlreicher Wallfahrer ließ in der Nähe die anfangs ganz hölzerne Kapelle entstehen und mit einem zwei Schuh hohen Liebfrauenbild zieren.“
Eine weitere Legende erzählt, dass einst die Pest als ein altes, hässliches Weib ins Land gekommen sein. Hierher, in diesen stillen Waldwinkel aber ist sie nie vorgedrungen, und so ist eine Jungfrau, die mit ihrem Herzallerliebsten zu diesem Gnadenkirchlein gepilgert kam, als einzige von ihr verschont geblieben.
Eine dritte Legende berichtet, dass sich eine Burgfrau von Ramingstein auf der Jagd verirrt haben soll und bei dieser Quelle aufgefunden wurde. Zum Gedenken ließ sie an dieser Stelle eine der Mutter Gottes geweihte Kapelle errichten, aus welcher später das heute viel besuchte Wallfahrtskirchlein Maria Hollenstein wurde.
Maria Hollenstein bei Kendelbruck - ein vorchristliches Frauenheiligtum
In allen drei Legenden scheinen noch die verschiedenen Aspekte der vorchristlichen Großen Göttin durch, die hier einst verehrt wurden.
Im alten, hässlichen Weib erkennen wir den schwarzen Aspekt, die Tod-im-Leben-Göttin. Sie war im zyklischen und polaren Weltbild der vorchristlichen Menschen die weise, alte Frau, Göttin des Schicksals, und Herrin über Transformation und Wiedergeburt. Sie holt am Ende alle Wesen wieder zu sich, verjüngt sie und schickt sie wieder auf die Welt zurück.
Die Legende vom Baden des Jesuskindes im Schalenstein ist ein stark verkappter Hinweis auf einen Kindelstein. In dem Stein manifestierte sich die Große Göttin den vorchristlichen Menschen als Große Ahnfrau. Er wurde als Stein- und Landschaftsahnin verehrt. Das Wasser im immer gefüllten Schalenstein war ihr Schoßwasser, jener Leben spendende Stoff, aus dem die Frauen mit Kinderwunsch die Kinderseelen holen durften. Hier erkennen wir die Göttin als große Schenkerin von Leben.
Ihr Schoßwasser, welches frisch aus dem Schoß der Göttin, der mütterlichen Erde, entspringt, hatte und hat immer noch heilende Wirkung. Es bringt Genesung, Segen, und Fruchtbarkeit für Land und Menschen.
Auch im Namen „Hollenstein“ ist der ursprüngliche Name der Göttin erhalten geblieben. Es war die Frau Holle, die sich den Menschen hier im Stein und dem Wasser manifestierte. Heute wird der Name vom „hohlen Stein“ abgeleitet. Aber auch das passt zur Frau Holle, der großen Göttin die in ihrem Jenseitsparadies tief in der Erde als Herrin über die großen und kleinen kosmischen Zyklen das Lebensrad immer weiterdreht und das Schicksal aller Wesen bestimmt.
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