Im archaischen Zustand winden und schlängeln sich Flüsse einer Schlange oder einen Drachen gleich durch die Landschaft. Sie bringen regelmäßig fruchtbaren Schlamm und belebendes Wasser zu den Menschen. Die großen Flüsse waren der Inbegriff von Lebenskraft und Schlange und Drache lange ein Symbol für diese immerwährende, sich ständig erneuernde Kraft, die Glück, Segen und Fruchtbarkeit über Land und Menschen bringt.
In der matriarchalen Kultur waren die großen Flüsse auch Flussgöttinnen. Sie waren eine lokale Verkörperung der einen großen Göttin, der Magna Mater. So ist die Donau, die Dana-Aue, die Aue der Dana. Die Göttin Dana war bei vielen vor-indoeuropäischen Völkern eine Wasser- und Schöpfergöttin. In Irland war sie Danu, in Wales Don, im Germanischen Donua und im Slawischen Dunav/Dunavec/Dunaj. Sie war aber auch eine Verkörperung des Landes. Dänemark ist das Land der Dana, die Erdmutter selbst und die Phönizier nannten sich Danaiten.
Die Göttin En oder An ist der Inn. Inn geht auf die Wortsilbe „En“ oder „An“ – einen sehr alten Göttinnennamen zurück. Der Inn entspringt im En-gadin, dem Garten der En. Dort, bei den einheimischen Rätoromanen, wo der Inn noch durch enge Täler und Schluchten braust, wird er „Il Dragun“ – „Der Drache“ gerufen. Viele Häuser im Engadin werden von Sgraffito-Ornamenten mit dem Drachen als Motiv geschmückt. Auch als Firstfigur ist er da und dort anzutreffen. Er bringt Segen und Fruchtbarkeit zu den Menschen.
Ein Weiterer Drache oder eigentlich besser eine Drachin ist die Frau Ley, der Rhein. Eine Frau war im Mittelalter eine „frouwe“ und bedeutete soviel wie „Herrin, Fürstin“ und noch viel früher stand das Wort Frau für Göttin: Frau Venus, Frau Diana, Frau Hel. Also war die Frau Ley nicht, wie in vielen Rheinsagen geschrieben steht, die Ehefrau des Rheingottes, sondern die die Göttin Ley selbst. Auch Frau Ley wird in vielen Rheinsagen wieder mit dem Drachen in Verbindung gebracht. Ihre Töchter sollen als Molche und Drachen von der Schweiz bis zur Mündung fliegen und oft Unheil bringen.
Flüsse bilden auch natürliche Grenzen, eine Schwelle. Soll nun eine solche natürliche Grenze überschritten werden, über eine Furt, einen Steg oder später über eine Brücke, wird diese natürliche Grenze aufgehoben. So wurden bei jedem Übergang der Flussgöttin ein kleines Opfer oder ein Gedanke der Verehrung dargebracht, als Bitte oder Dank für einen guten Übergang. So wird der Übergang unter den Schutz der Flussgöttin gestellt.
Mit zunehmender Christianisierung wurden an Flüssen Heiligenbilder aufgestellt, die beim Übergang vor den Nixen, Wassermännern und anderen Flussgeistern schützen sollten. Einer dieser Brückenheiligen ist Johannes Nepomuk, den wir heute an vielen Brücken finden. Der Legende nach wurde er in Prag an Händen und Füssen gefesselt in die Moldau geworfen. Er ging aber nicht unter, sondern „es erhob sich sein Körper auf die Oberfläche des Wassers und war von hell-leuchtenden Sternen umgeben“. So wurde er zum Herrn über das Wasser.
An manchen Flussübergängen finden wir auch den heiligen Christophorus, den Christusträger. So soll der Riese Christophorus der Legende nach Christus als Kind auf seinen Schultern über einen Fluss getragen haben. Aber Christophorus hat im Christentum auch die Funktion eines Seelenführers, eines Psychopompos, der die Seelen ins Jenseits geleiten soll. In der Legende Christophorus spiegelt sich der vorchristliche Fährmann Charon der die Seelen der Verstorbenen über den Unterweltsfluss Styx in die Anderswelt geleitet.
Flüsse trennen in vielen Mythologien die Anders- oder Jenseitswelt vom Land der Lebenden, so wie der Unterweltsfluss Styx in der griechischen Mythologie. Styx ist benannt nach der gleichnamigen Göttin. Sie umwindet als Fluss den Hades, die Anderswelt, neun Mal und durchfließt ihn schließlich in sieben Windungen, ehe sie als Alpha neu entspringt. Styx fließt als Totenfluss in die Anderswelt hinein, mäandert durch diese hindurch und wird als Alpha neu geboren. Auch hier erkennen wir, wie schon ganz zu Beginn beschrieben, im Fluss die sich ständig erneuernde Lebenskraft, den Drachen, bzw. den ewigen Zyklus vom Werden und Vergehen, der in den Händen der großen Göttin liegt.
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