Bereits im letzten Beitrag über die Wintersonnenwende bin ich kurz auf die Rauhnächte eingegangen und möchte es hier weiter vertiefen.
Wird von den Rauhnächten gesprochen, werden meist die Nächte von der Wintersonnenwende, dem 21. Dezember, bis zum 6. Januar gemeint. Es ist die dunkelste Zeit des Jahres, aber bereits auch die Zeit der Rückkehr des Lichts. Es ist eine klassische Schwellenzeit, die in einen neuen Zyklus, ein neues Lebensrad hinüber führt. Die Rauhnächte sind durch zahlreiche Bräuche gekennzeichnet. Es ist eine Zeit der Übergangsrituale, aber auch des Segnens, des Orakelns, der Schicksalsbefragungen und der Gabenspenden. Dabei geht es um die Menschen, die Tiere, Haus, Hof und Felder.
Woher kommen all diese Bräuche und Rituale und was steht dahinter?
Wie bei so vielen erstrecken sich auch bei den Rauhnächten die Wurzeln weit zurück in vorchristliche Zeiten, als sich das Weltbild der Menschen in vielen Bereichen von unserem heutigen Weltbild dramatisch unterschied. Dort finden wir die Ursprünge vieler der Rauhnachtsbräuche und -rituale.
Ursprünge der Rauhnächte
Die Menschen erkannten sich als Teil der Natur und waren, wie alles andere auch, eingebunden in einen ewigen Zyklus von Werden, Sein, Vergehen und Wiederkehr. Alles Leben auf Erden entspringt dem Schoß von Mutter Erde und kehrt an seinem jeweiligen Ende wieder dorthin zurück. Dort wirkt eine unsichtbare Kraft, die alles transformiert, verjüngt, um es zu seiner Zeit wieder auf die Erde zurückzuschicken. Die Mutter Erde war die große Urmutter von allem. Sie war die große Schöpfer- und Schicksalsgöttin. Und weil alles dem göttlichen Schoß entsprang, stand alles gleichberechtigt nebeneinander. Die ganze Natur war beseelt. Alles war Subjekt und nichts nur Objekt.
Die Urmutter und große Göttin war es, die das Lebensrad ständig weiterdrehte. Vom Hellen ins Dunkle und wieder ins Helle. Vom Leben in den Tod und wieder zurück ins Leben. Unabwendbar dreht sich das Jahr durch die sich gegenseitig bedingenden, aber auch ergänzenden Pole.
Bis zur Wintersonnenwende, der Modranicht, der Nacht der Mütter, drehte sich das Rad immer weiter in die dunkle Zeit hinein. Mit der Wintersonnenwende dreht es sich allmählich, langsam, aber stetig in die helle Zeit des Jahres hinein. Die Rauhnächte sind eine Übergangszeit, eine Nichtzeit, der die Schicksalsgöttin, im Alpenraum auch Frau Percht und in den mittleren Regionen Deutschlands Frau Holle genannt, vorsteht. In der Unterwelt, dem Jenseitsparadies, spinnt sie den Schicksalsfaden, der jetzt, während der Rauhnächte, den Menschen von neuem zugeteilt wird. Aus dem Schicksalsfaden, den das Rota Fortuna, das Schicksalsrad, aus der Unterwelt, zurück an die Oberfläche bringt, weben die Menschen ihr Leben im neuen Jahr.
Vor diesem Hintergrund können wir verstehen, warum die Rauhnächte eine Zeit des Orakelns und der Schicksalsbefragungen sind. In den Schicksalsfaden hat Frau Percht das Schicksal für das kommende Jahr gesponnen. Nur die große Schicksalsgöttin weiß, was kommen wird.
Brauchtum während der Rauhnächte
Ein alter Brauch während der Rauhnächte ist das Füttern der Elemente. Leider ist er beinahe in den Tiefen der Zeit versunken.
Auch die Elemente unterstehen, wie alles andere auch, der großen Göttin. Der Wind steht für das Element Luft. Die Menschen stellen Nussschalen, gefüllt mit Speisen, in die Obstbäume oder auf Zaunpfosten des Bauerngartens. Der Wind kann die Gaben mitnehmen und sich an ihnen satt essen und muss nicht als Frühlingssturm seinen Hunger an den auf die Felder ausgebrachten Samenkörnern stillen (also die Aussaat von den Feldern wehen).
Genauso wurden solche Nussschalen als Gaben an das Wasser dem nahen Bach geschenkt. Auch hier kann sich das Wasser an den Gaben satt essen und muss nicht im Frühling als reißender Bach die Aussaat von den Feldern fressen. Gleichzeitig bittet man mit den Gabenspenden um ausreichend Regen, damit das Korn gut gedeihen kann.
Auch das Feuer im Herd wird gefüttert. Es soll sich an den Gaben laben und nicht als Feuersbrunst an Haus und Hof.
Eine etwas andere Art der Elementengabe war das Bestreuen der Apfelbäume der Streuobstwiese mit Mehl. Das Baumwesen wird gefüttert und wird es mit vielen Früchten danken.
Ein Brauch, der sich hingegen bis heute gehalten hat und bei den Menschen sehr beliebt ist, ist das Räuchern. Üblicherweise verwendet man zum Räuchern während der Rauhnächte ein Stück Kohle aus dem Herd. Der Herd steht symbolisch für den heiligen Bauch der Göttin. Auf diesem Stück heiliger Kohle wurden jene Kräuter verräuchert, die entweder um die Sommersonnenwende oder während des Frauendreißigers (vom 15. August bis zum 8. September) gesammelt wurden. Die Kräuter waren Geschenke der großen Sommergöttin an ihre Erdenkinder. Aus ihrem Inneren heraus erfüllte die Göttin die Kräuter und alle anderen Pflanzen mit der ganzen Lebenskraft des Sommers.
Im Rauch der Kräuter und der heiligen Kohle (die ja auch von einer Pflanze, einem Baum, stammt), zeigte sich die Göttin mit ihrer ganzen Lebenskraft des Sommers. Der Rauch steht symbolisch für die Göttin und ihre Lebenskraft. Mit dem Rauch kehrt die große Göttin, Frau Percht oder Frau Holle, in das Haus ein und bringt ihre ganze Lebenskraft mit. Mit dem Räuchern luden die Menschen ihre Göttin ein, in Haus und Hof mitzuwirken, den Menschen zu helfen, Gesundheit, Schutz und Segen zu spenden und Fruchtbarkeit zu schenken.
Heute wissen wir, dass ab dem 21. Dezember die Tage wieder länger werden, aber nur unmerklich. Für die frühen Menschen, die noch keinen Kalender so wie wir ihn heute kennen, hatten, war nicht klar, ob die Göttin das Jahresrad tatsächlich weiter drehte, da sich der Sonnenaufgangspunkt am östlichen Horizont nicht merklich veränderte und am Landschaftskalender die Wende noch nicht abgelesen werden konnte. Erst um die Zeit des 6. Januars war es soweit und die Priesterin Astronomin konnte an ihrem Landschaftskalender die Wende erkennen. Deshalb war dieser Tag der Tag der Erscheinung. Die Epiphanie, die Wiedergeburt des Lichts, hat stattgefunden. Erst jetzt war es sicher, das Lebensrad dreht sich weiter.
Im hellenistischen Ägypten wurde in der Nacht vom 5. zum 6. Januar die Geburt des Sonnengottes Aion aus der Jungfrau Kore gefeiert. Am Tag des 6. Januar folgte das Schöpfen des heilbringenden Wassers aus dem Nil.
Heute ist die Nacht vom 5. auf den 6. Januar als letzte Rauhnacht bekannt. Regional wird diese Nacht auch als Großneujahr, Hochneujahr, oder Oberste bezeichnet.
In Italien erscheint heute noch jedes Jahr in der Nacht vom 5. auf den 6. Januar die Befana. Die Befana wird als hässliche Hexe dargestellt, die auf ihrem Besen von Haus zu Haus fliegt und durch den Schornstein in die Häuser kommt. Dort füllt sie die aufgehängten Strümpfe bzw. die bereitgestellten Schuhe jener Kinder, die übers Jahr brav gewesen sind, mit Geschenken.
Befana leitet sich von Epiphanie ab und in ihr scheint noch die Frau Percht durch, die den Menschen das Licht und die Lebenskraft zurückbringt. Freilich ist sie schon stark patriarchal und christlich zur grässlichen Hexe verdreht, die nur die Braven beschenkt.
Noch weiter verdreht und vom ursprünglichen Sinngehalt entfernt ist der Brauch der Heiligen Drei Könige, die bei uns an die Stelle der Frau Percht getreten sind.
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